Eine kolossalische Schöpfung voll tiefer Lebenslust» nannte Sinclair L ewis in seiner Nobelpreisrede das Werk von Thomas Wolfe. Der große Roman «Schau heimwärts, Engel!» erzählt Kindheit und Entwicklung des jungen Eugen Gant, eines zarten und wilden Genius, dem der Alltag immer wieder zum Mythos wird. Menschen und Dinge erlebt er in «einem sonderbaren Licht, das die staubige Welt neu verzaubert». Mit seinem Vater, einem gebrochenen Titanen voll Lasterhaftigkeit und Größe, mit der geizig-ehrgeizigen Mutter, mit der Dämonenschar seiner vielen Geschwister ist er durch Blutsbande hoffnungslos zusammengeschmiedet und wird auch in der Trennung ihre Gespenster nicht los. Sein Leben als Zeitungsjunge, Schüler, Student, Vagabund, seine Erlebnisse mit Freunden und Frauen werden zu einem leidenschaftlichen Kampf um das Geheimnis des Daseins. Hermann Hesse: «Dieses Epos der Familie Gant ist die stärkste Dichtung aus dem heutigen Amerika, die ich kenne.»
Mit der vorliegenden Fassung beginnt der Rowohlt Verlag eine Neuausgabe der Werke von Thomas Wolfe in revidierten Übersetzungen, die zu einer Wiederentdeckung dieses bedeutenden Erzählers unseres Jahrhunderts einladen.
Die Romanhandlung setzt zwei Generationen vor der Geburt Eugenes mit der
Ankunft des Engländers Gilbert Gaunt in Baltimore 1837 ein. Gaunt, der
seinen Nachnamen nun in Gant umändert, heiratet eine junge Witwe, wird
Vater von fünf Kindern und erliegt schließlich einem Schlaganfall. Nach
der lakonischen Schilderung seines Lebens wendet sich Wolfe dem Schicksal
seines zweiten Sohnes Oliver zu. Oliver bemerkt eines Tages, als er die
Werkstatt eines Steinmetzes passiert, einen großen gemeißelten Engel. Er
erkennt seine Profession und beginnt eine Ausbildung als Steinmetz. Nach
dem frühen Tod seiner Frau Cynthia zieht es ihn nach Altamont in North
Carolina, er lernt die lebensfrohe Eliza Pentland kennen und heiratet sie.
Gleich ihren Geschwistern neigt auch Eliza, durch ihre Armutserfahrung
nach dem Bürgerkrieg traumatisiert, zu einem übersteigerten Bedürfnis,
Besitz anzusammeln. Eliza bringt zehn Kinder zur Welt, von denen drei noch
im Säuglingsalter sterben. 1885 wird ihr ältester Sohn Steve geboren. Es
folgen Daisy, Helen und 1892 das Zwillingspaar Grover und Ben. Zwei Jahre
darauf kommt Luke zur Welt. Eugene, das jüngste Kind, wird 1900 geboren.
Wie seine älteren Geschwister leidet auch Eugene unter den Alkoholexzessen
seines Vaters und unter den massiven Auseinandersetzungen zwischen den
Eltern. Während Steve sich unter den gewaltsamen Zusammenstößen zum impertinenten
Gammler entwickelt und Daisy hinter ihrem scheuen und sanftmütigen Auftreten
eine Neigung zur Bösartigkeit erkennen lässt, gerät Helen zunehmend in
Konflikt mit der Mutter. Sie schlägt sich auf die Seite des Vaters und
beginnt, ihn wie ein Kind zu umsorgen. Luke, den die Familie >>den Selbstlosen
und Großzügigen<< nennt, weil er seine Einkünfte als Verkaufstalent freimütig
vergibt, wird in seinem Tun von der Sucht nach Anerkennung getrieben. Ben,
dessen Zwillingsbruder Grover mit zwölf Jahren an Typhus stirbt, reagiert
auf den im Haus herrschenden Lärm, indem er sich in seine Einsamkeit zurückzieht.
Auch Eugene findet eine Möglichkeit, der familiären Zerrissenheit zu entkommen:
Er entdeckt seine Liebe zur Literatur. Doch seine von einem exzessiven
Nahrungs-, Wissens- und Liebeshunger genährte Sehnsucht nach einem inneren
Halt, nach einem >>fremden, begrabenen Leben<<, begleitet ihn noch, als
er Altamont längst verlassen hat, um an der Universität in Pulpit Hill
zu studieren. Am Ende des Romans erklärt ihm sein inzwischen verstorbener
Bruder Ben in einer Vision, dass die Antwort auf sein Sehnen in ihm selbst
verborgen liegt. Doch seine Botschaft erreicht Eugene nicht. Als er in
der Schlussszene an den steinernen Engeln seines Vaters vorübergeht, ist
er entschlossen, sein Glück in der Ferne zu finden.